Otto Lenel

»Rechtshistoriker, Zivilrechtler, * 13.12.1849 Mannheim, † 7.2.1935 Freiburg (Breisgau). (israelitisch, dann evangelisch)

L. studierte Rechtswissenschaft in Heidelberg, Leipzig und Berlin. Seine bedeutendsten Lehrer waren K. A. v. Vangerow, C. G. v. Wächter und L. Goldschmidt. Als Kriegsfreiwilliger diente er 1870/71 beim 1. bad. Dragoner-Rgt. Das Erlebnis des Krieges und der Reichsgründung bestärkte seine patriotische Gesinnung. Ende 1871 legte er die 1. juristische Staatsprüfung, 1872 das Doktorexamen ab. Erst nach der 2. Staatsprüfung (1874) faßte L. den Entschluß, sich der Wissenschaft zu widmen. Er habilitierte sich 1876 in Leipzig, erhielt 1882 einen Ruf auf einen Lehrstuhl in Kiel. Es folgten Professuren in Marburg (1884), Straßburg (1886) und Freiburg i.Br. (1907). Auch nach seiner Emeritierung blieb L. wissenschaftlich tätig, Öffentliche Ämter außerhalb der Universität bekleidete er trotz seines großen Ansehens nicht. Er ging in den Aufgaben, die er sich als Forscher, Rechtslehrer und Rechtsgutachter stellte, völlig auf.

L. war auf den Gebieten der röm. Rechtsgeschichte wie des Zivilrechts einer der bedeutendsten Forscher seiner Zeit. Als er sich habilitierte, zeichnete sich angesichts der Vorbereitungen zum Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ab, daß die Wissenschaft vom röm. Recht in absehbarer Zeit ihrer praktischdogmatischen Verantwortung für das geltende Recht ledig sein würde. Man wandte sich nun entschiedener der Erforschung der historischen Rechtsordnung des alten Rom zu. Bahnbrechend waren L.s Rekonstruktionen des prätorischen, unter Hadrian endgültig redigierten Edikts und der Ediktskommentare. 1878 erschienen seine ›Beiträge zur Kunde des prätorischen Edikts‹, 1883 die auf eine Preisaufgabe der Bayer. Akademie der Wissenschaften zurückgehende Monographie ›Das Edictum perpetuum‹ (1927, franz. Übers.). Die Rekonstruktion des Edikts setzte eine kritische Wiederherstellung der klassischen Ediktskommentare und anderer einschlägiger, in Justinians Digesten bruchstückweise überlieferten Juristenschriften voraus. Dabei wurden die Kommentierungsmethode der röm. Juristen und bis dahin nicht beachtete spätere Veränderungen an ihren Schriften deutlich. L. gelang es so, justinianische Interpolationen sicher nachzuweisen und die Spuren von Rechtsinstituten zu sichern, die bereits zur Zeit der justinianischen Kodifikation historisch waren. Zusammen mit I. Alibrandi, F. Eisele und O. Gradenwitz ist er einer der Pioniere der modernen romanistischen Textkritik. Übertreibungen der namentlich in den 20er Jahren überhand nehmenden ›Interpolationenjagd‹ trat er mit Entschiedenheit entgegen. Die für die Ediktskommentare geleistete Rekonstruktionsarbeit dehnte L. alsbald auf alle klassischen Juristenschriften aus. So entstand die 1889 erschienene ›Palingenesia Iuris Civilis‹. Noch L.s letzte Arbeiten waren palingenetischen Fragen gewidmet.

L. sah auch die Mitgestaltung des geltenden Rechts als seine Aufgabe an. Er beteiligte sich an der Kritik, die die Entwürfe zum BGB begleitete, und nahm zu zentralen zivilrechtlichen Problemen, vor allem auf dem Gebiet der Rechtsgeschäftslehre, Stellung. Seine zivilistischen Arbeiten atmen den wirklichkeitsnahen Geist, der auch seine rechtshistorischen Werke kennzeichnet. Im Zivilrecht sah er vor allem die sachgerechte Ordnung praktischer Bedürfnisse und wies deshalb dem Ideal der Rechtssicherheit einen hohen Rang zu. L. war ein vorzüglicher Dozent, der seine Hörer in systematische Zusammenhänge wie in die Kunst der Falllösung geschickt einzuführen wußte. Durch seine Lehrtätigkeit und eine viel benutzte Fallsammlung, die ein Dutzend Auflagen erlebte, förderte er wesentlich das heute selbstverständliche Hervortreten der Übungen im Rechtsunterricht. L. gründete zwar keine eigene Schule, doch übte er eine starke, prägende Wirkung auf die junge Juristengeneration seiner Zeit aus.«

Bund, Elmar, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 204 f.

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