Julius von Pflugk-Harttung

»Historiker, Archivar, Urkundenforscher, * 8.11.1848 Wernikow bei Wittstock (Brandenburg), † 5.11.1919 Berlin. (evangelisch)

P. besuchte in Hamburg die Realschule, erwarb das Einjährige und begann eine Kaufmannslehre, die ihn u.a. nach Amerika führte. 1870/71 nahm er am deutsch-franz. Krieg teil, holte anschließend die Reifeprüfung nach und studierte Geschichte und Philologie in Bonn, Berlin und Göttingen. 1876 in Bonn promoviert, habilitierte sich P. 1877 in Tübingen und wurde hier kurz darauf zum ao. Professor ernannt. Vor allem aufgrund der außergewöhnlichen Breite seiner Forschungen, die von der Antike bis zu den Befreiungskriegen reichen, wurde P. 1886 als Nachfolger Jacob Burckhardts nach Basel berufen, sah sich aber 1889 zum Rücktritt genötigt: In dem Streit zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reich über die Handhabung des schweizer. Asylrechts und über Zollfragen hatte er anonym in einer Hamburger Zeitung gegen die Schweiz Stellung bezogen. Er wurde jedoch als Autor erkannt und in der Folge von den Studenten boykottiert. 1892 wurde er als Archivar am Geheimen Staatsarchiv in Berlin angestellt, wo er fast bis zu seinem Lebensende beschäftigt war.

Bleibende, wenn auch umstrittene Bedeutung erlangte P. als Erforscher des älteren päpstl. Urkundenwesens (bis 1198), für das er eine neue, umfassende Systematik begründen wollte. Während seine Editionen und Archivberichte die Anerkennung sogar Paul Kehrs (1860–1944) fanden, verwickelte er sich mit seinen im engeren Sinne diplomatischen Studien in große Kontroversen mit Wilhelm Diekamp (1854–85), Theodor Sickel (1826–1908) und Harry Bresslau (1848–1926). Kern des Streits war zunächst die Frage, auf welche Weise Urkunden am besten zu faksimilieren seien. Die Kontroverse weitete sich dann zu einem Grundsatzstreit über die diplomatische Methodik allgemein aus, in dem P.s Gegner ihm Schematismus, eine verfehlte Terminologie und zu starkes Insistieren auf den sog. ›äußeren Merkmalen‹ vorwarfen. Der Streit, von beiden Seiten polemisch geführt und nie abschließend geklärt, hatte schließlich P.s Abkehr von der Diplomatik zur Folge. Seine diplomatischen Arbeiten entstanden in einer Zeit, als die Diplomatik von der Echtheitskritik an einzelnen Urkunden zur systematischen Kanzleigeschichte fortschritt. P.s Ausgabe der Papsturkunden ist heute z.T. durch neuere Editionen überholt. Die meisten Urkunden aus dem Zeitraum zwischen 1046 und 1198 sind jedoch nach wie vor nur bei ihm zu finden. In der Folge widmete sich P. im Archiv dann besonders der Erforschung der Befreiungskriege; daneben betätigte er sich auch als historischer Publizist und Herausgeber einer populären Weltgeschichte.«

Weiß, Stefan, in: Neue Deutsche Biographie 20 (2001), S. 358–359

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