August von Miaskowski

»Nationalökonom, * 26.1.1838 Pernau (Livland), † 22.11.1899 Leipzig. (evangelisch)

M., der einer in die russ. Ostseeprovinzen ausgewanderten poln. Familie entstammte, besuchte das deutsche Gymnasium der St. Annenschule in St. Petersburg. Er studierte 1857–62 in Dorpat Rechtswissenschaften und schloß sein Studium in Berlin und Heidelberg ab. In Heidelberg promovierte er 1864 zum Dr. iur. Nach seiner Rückkehr in die Heimat wurde er als Vertreter der estländ. Städte Narwa und Reval Mitglied der Zentraljustizkommission, die eine Reform der gemeinrechtlichen Zivil- und Kriminalprozeßordnung durchführte. 1866 legte er in Dorpat das Magisterexamen ab und ließ sich in Riga als Hofgerichtsadvokat nieder. Hier bekleidete er zugleich die Stellung eines Sekretärs in der Kanzlei des Generalgouverneurs der Ostseeprovinzen. Seit 1868 lehrte er zudem am balt. Polytechnikum Handels-, Wechsel- und Seerecht. Die verwaltungsrechtlichen Aufgaben bildeten den Schwerpunkt seiner Tätigkeit in Riga; in der Kanzlei des Generalgouverneurs oblag ihm das Dezernat für Agrar- und Gemeindeangelegenheiten.

Diesem Fachgebiet blieb er treu, wenn auch nicht mehr als Verwaltungspraktiker, sondern als nationalökonomischer Theoretiker. Er verließ 1871 Riga und wandte sich in Deutschland der Nationalökonomie zu. Nach Studien bei Ernst Engel, dem Direktor des Preuß. Statistischen Büros in Berlin, und Bruno Hildebrandt, einem der Begründer der älteren historischen Schule der Nationalökonomie und Leiter des Thüring. Statistischen Büros in Jena, habilitierte er sich 1873 in Jena mit der Schrift über Familienfideikommisse. Bereits 1874 erhielt er einen Ruf an die Univ. Basel, wo er bis 1881 wirkte. Seine Tätigkeit in der Schweiz wurde nur durch einen kurzen Aufenthalt 1876/77 an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim unterbrochen. Während seiner Baseler Zeit befaßte er sich mit der Agrargeschichte der Schweiz und den gemeinnützigen Anstalten der Stadt Basel. Über den Gründer der ›Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen‹, Isaak Iselin, verfaßte er 1875 eine Biographie. 1881 folgte er einem Ruf nach Breslau, wo er seine bedeutendste Arbeit, ›Das Erbrecht und die Grundeigenthumsvertheilung im Deutschen Reiche‹ (2 Bde., 1882/84), anfertigte. Diese Untersuchung trug ihm die Mitgliedschaft im Preuß. Landesökonomiekollegium und im Deutschen Landwirtschaftsrat ein. Aus dem letzteren trat er 1887 aus Protest gegen die hohen Schutzzölle aus. 1889 wurde er nach Wien, 1891 als Nachfolger Lujo Brentanos nach Leipzig berufen, wo er bis 1897 lehrte. 1889 erschien eine Sammlung seiner Vorträge, die er im Deutschen Landwirtschaftsrat, im Preuß. Landesökonomiekollegium und im Verein für Socialpolitik gehalten hatte.

M. begriff Agrarpolitik nicht als konservative Interessenpolitik, sondern als Teil einer am Allgemeinwohl ausgerichteten Sozialpolitik. So ging es vor allem auf seine Initiative zurück, daß der Verein für Socialpolitik, dessen Ausschußmitglied er war, sich diesem Thema in den 1880er Jahren zuwandte. Er stellte seine agrarwissenschaftlichen Untersuchungen und agrarpolitischen Ziele auf den Generalversammlungen des Vereins 1882 und 1888 vor. Als sozialpolitisches Ideal verfolgte er dabei eine Mischung von Bauern- und Landgütern aller Größenklassen mit dem mittleren Bauernstand als Grundstock. Die Stabilität des Bauernstandes sah er aber gefährdet durch das seit Beginn des 19. Jh. gültige Erbrecht (Pflichtteilsrecht); er strebte daher eine Wiederbelebung des Anerbenrechts an, d.h. der ungeteilten Weitergabe des Besitzes an nur einen Erben bei Abfindung der Miterben. Das Anerbenrecht sollte im Bürgerlichen Gesetzbuch für landwirtschaftlich und forstwirtschaftlich genutztes Grundeigentum festgeschrieben werden. Die Länder und Provinzen sollten sich in diesem Rahmen entweder für das Anerbenrecht als Intestaterbrecht oder das System der Höfe- oder Landgüterrolle entscheiden. Im ersten Fall wäre das Anerbenrecht das allgemeingültige, nur durch testamentarische Erklärung zu umgehende Erbrecht geworden; im zweiten Fall hätte der Erblasser die Gültigkeit des Anerbenrechts erst durch den Eintrag in eine Höfe- oder Landgüterrolle für sein Gut erlangt, so wie es in der Provinz Hannover seit 1874 der Fall war. Diese weitreichenden Bestrebungen konnten freilich nur regional bzw. partiell durchgesetzt werden, stellten sie doch einen erheblichen Eingriff in das individuelle Eigentumsrecht dar. Das Anerbenrecht als Intestaterbrecht wurde 1896 gesetzlich bei mit staatlicher Hilfe errichteten Ansiedlungs- und Rentengütern eingeführt, bei denen die individuelle Verfügungsgewalt des Besitzers ohnehin eingeschränkt war. Im BGB fanden dagegen M.s Vorstellungen keinen Niederschlag. – M. galt als einer der besten Kenner der deutschen Agrargeschichte und, auch wenn seine zentralen Ziele nicht verwirklicht wurden, als einer der maßgeblichen Agrarpolitiker seiner Zeit.«

Aldenhoff, Rita, in: Neue Deutsche Biographie 17 (1994), S. 415 f.

Bücher des Autors

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Vorlesung gehalten beim Antritt des Lehramts an der Wiener Universität am 15. Oktober 1889

1890. V, 40 S.
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Ein socialwirthschaftlicher Beitrag zur Kritik und Reform des deutschen Erbrechts. Zweite Abtheilung: Das Familienfideicommiß, das landwirthschaftliche Erbgut und das Anerbenrecht. (Schriften des Vereins für Socialpolitik XXV)

1884. Tab.; VI, 476 S.
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Ein socialwirthschaftlicher Beitrag zur Kritik und Reform des deutschen Erbrechts. Erste Abtheilung: Die Vertheilung des landwirthschaftlich benutzten Grundeigenthums und das gemeine Erbrecht. (Schriften des Vereins für Socialpolitik XX)

1882. Tab.; V, 311 S.
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in ihrer geschichtlichen Entwickelung vom XIII. Jahrhundert bis zur Gegenwart. (Staats- und socialwissenschaftliche Forschungen II.4)

1879. XVIII, 245 S.
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