Arthur Spiethoff

»Nationalökonom, Konjunkturtheoretiker, * 13.5.1873 Düsseldorf, † 4.4.1957 Tübingen. (evangelisch)

S. besuchte Gymnasien in Berlin und Mühlhausen (Thür.) und studierte 1893–99 Staatswissenschaften an der Friedrich Wilhelms-Univ. Berlin und wurde dort Assistent von Gustav Schmoller (1838–1917). Nach seiner Promotion 1905 habilitierte er sich 1907 und wurde im folgenden Jahr als o. Professor an die Dt. Univ. in Prag berufen. Dort entstanden zentrale wissenschaftliche Arbeiten zu seinem bekanntesten Schwerpunkt, der Erforschung der Wechsellagen der kapitalistischen Wirtschaft, darunter drei große Abhandlungen über den Kapital- und Geldmarkt. Nach dem Tod Schmollers wurde S. Mitherausgeber von ›Schmollers Jahrbuch‹, in dem er speziell zu den Wirtschaftskrisen publizierte.

Nachdem S. Berufungen nach Gießen (1913) und Göttingen (1918) abgelehnt hatte, folgte er 1918 dem Ruf als Professor der Wirtschaftlichen Staatswissenschaften an die Univ. Bonn und kehrte damit in seine rhein. Heimat zurück. Er arbeitete v.a. mit Herbert v. Beckerath (1886–1966) (seit 1924) und Joseph Schumpeter (1883–1950) (seit 1925) zusammen; die drei verhalfen der Bonner Nationalökonomie zu internationalem Ruhm. S. selbst bezeichnete diese Jahre als ›die glücklichsten und inhaltsreichsten seiner Arbeit als akademischer Lehrer‹ (Kamp, 1958). Sein berühmtestes Werk stellt der 1925 erstmals veröffentlichte Artikel ›Krisen‹ (in: Hdwb. d. Staatswiss., Bd. 4, 41925) dar. Es handelt sich um die erste Gesamtdarstellung der wirtschaftlichen Wechsellagen. In der Folge beeinflußte S. die Diskussionen über die Institutionalisierung der Konjunkturforschung in Deutschland; Wagemanns ›theorieloser‹ Konjunkturforschung stand er mit seiner ›angewandten Konjunkturtheorie‹ kritisch gegenüber. Neben dem Hauptthema ›Konjunkturforschung‹ finden sich in seinen Arbeiten ab 1925 zunehmend auch methodologische Überlegungen zum Zusammenhang von Wirtschaftstheorie und -geschichte. S., der zunächst durch die theoretischen Wurzeln der historischen Schule seines Mentors Schmoller geprägt wurde, folgte dessen Anschauungen in seinen Arbeiten nicht passiv, sondern versuchte, durch eine Synthese von abstrakter und empirischer Wirtschaftsforschung eine Brücke zwischen der traditionellen historischen und der aufstrebenden neoklassischen Theorie zu schlagen, welche er selbst mit dem auf Edgar Salin (1892–1974) zurückgehenden Begriff ›anschauliche‹ Theorie betitelte. Beckerath bezeichnete S. als ›Vollender des Schmollerschen Vermächtnisses‹ – ›der Durchbruch aus der historisch und soziologisch erforschten Erfahrung zur Theorie, der Schmoller im ganzen versagt blieb, gelang ihm‹ (Beckerath, 1957). Verbreitet ist seine noch nachwirkende Präzisierung des Wirtschaftsstilbegriffs durch fünf ›Merkmale‹, verkürzt: Wirtschaftsgeist, natürliche/technische Grundlagen, Wirtschaftsverfassung, Gesellschaftsverfassung, Dynamik, die im Vergleich zu Walter Euckens (1891–1950) Systembegriff den Zusammenhang von Wirtschaft und Kultur auf gegebenem Raum und in gegebener Epoche hervorhoben und die anschauliche Darstellung der Einbettung v.a. vormoderner Wirtschaften in den historisch-gesellschaftlichen Entwicklungsprozeß erlauben sollten (Schefold, 1994). S. war 1922–35 Mitherausgeber der ›Bonner Staatswissenschaftlichen Untersuchungen‹, amtierte als Dekan und gründete das ›Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften‹ 1928/29. 1932 ging Schumpeter nach Harvard und Beckerath emigrierte 1934, während S. den Nationalsozialismus zunächst unterstützte (Mitgl. NS Lehrerbund u. Bund nat.soz. Dt. Juristen). Sein internationales Ansehen erschien nach Beckerath um so bemerkenswerter, ›als S. nach Temperament, Charakter und Geistesart keineswegs ein Kosmopolit war, sondern in seinem Fühlen und Streben ausgesprochen national ausgerichtet war‹ (Beckerath, 1957, S. 577).

1933 erhielt S. eine außerordentlich reichhaltige und internationale Festschrift (›Der Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung‹). Bis zu S.s Emeritierung 1939 folgten noch einige Publikationen, darunter auch ein Beitrag zur Festgabe zur hundertsten Wiederkehr von Schmollers Geburtstag 1938. Nach seinem Ruhestand zog sich S. mit seiner Frau nach Badenweiler zurück.

In seinem letzten Lebensabschnitt in Tübingen widmete er sich noch einmal auf resümierende Weise seinen beiden Forschungsschwerpunkten: Mit seinem Beitrag in ›Synopsis‹ verfaßte er eine umfangreiche Begründung und Rechtfertigung seiner anschaulichen Theorie. Mit der erweiterten Neuveröffentlichung des ›Krisen‹-Artikels unter dem Titel ›Die wirtschaftlichen Wechsellagen‹ (2 Bde., 1955) knüpfte S. letztlich an seine ›Vorleistung‹ der Konjunkturforschung an und inkorporierte umfangreiches statistisches Material.«

Schefold, Bertram, in: Neue Deutsche Biographie 24 (2010), S. 696–697

Bücher des Autors

5 Treffer

Dem Andenken an Gustav von Schmoller. Festgabe zur hundertsten Wiederkehr seines Geburtstages 24. Juni 1938

1938. Frontispiz.; VIII, 373 S.

ab 99,90 €


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Zweiter Teil: Mündliche Aussprache über die Wertlehre im theoretischen Ausschuß des Vereins für Sozialpolitik, 30. September 1932 in Dresden. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 183/2)

1933. VII, 132 S.
Erhältlich als:  Buch, E-Book

ab 44,90 €


(Hrsg.) |  (Hrsg.)

Erster Teil. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 183/1)

1931. VII, 295 S.
Erhältlich als:  Buch, E-Book

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Erster Teil: Die allgemeine Preisbewegung 1890–1913. Von Wilhelm Gehlhoff. (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 149/I)

1928. Tab.; XVI, 450 S.
Erhältlich als:  Buch, E-Book

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