Rudolf Müller-Erzbach

»Jurist, * 23.3.1874 Perleberg (Brandenburg), † 4.8.1959 München. (evangelisch)

M. studierte nach dem in Bremen abgelegten Abitur seit 1893 Rechtswissenschaft sowie zunächst auch Mathematik und Physik in Leipzig, Freiburg (Breisgau), Bonn und Berlin. Anfang 1897 legte er das erste juristische Staatsexamen ab, promovierte 1898 in Freiburg und beendete 1901 seine Referendarzeit, die ihn nach Lesum, Göttingen und Celle geführt hatte. 1903 habilitierte er sich in Bonn. Nach Tätigkeit als Privatdozent in Bonn und Göttingen (1903–11) sowie als juristischer Hilfsarbeiter im Oberbergamt Bonn (1906–08) erhielt er 1911 eine ao. Professur in Königsberg, 1918 eine o. Professur in Göttingen und 1925 K. v. Amiras Münchener Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte, Deutsches Privatrecht, Bürgerliches Recht, Handels- und Wechselrecht sowie Industrie- und Gewerberecht. 1939 wurde M. emeritiert, von Dezember 1945 bis Oktober 1946 kehrte er als Dekan der Juristischen Fakultät nochmals an die Universität zurück.

M. betätigte sich vor allem auf den Gebieten der privatrechtlichen Methodenlehre sowie des Handels- und des Bergrechts. Bereits mit seiner 1905 erschienenen Habilitationsschrift begann er seine sog. Lehre vom kausalen Rechtsdenken zu entwickeln, die der lnteressenjurisprudenz Philipp Hecks und Heinrich Stolls nahesteht und wie diese eine Reaktion auf die 1903 von Eugen Ehrlich angeregte Freirechtsdiskussion bildet. Nach M. haben Gesetze ihren Ursprung in bestimmten Lebenssituationen und können nur dann richtig erfaßt und ausgelegt werden, wenn die zugrundeliegenden, historisch begründeten Lebensbedürfnisse ermittelt werden. Nur aus der engen Verknüpfung von Sozialleben und Recht könne eine lebensnahe Rechtsprechung geschaffen werden. Die Verbindung belegte M., indem er typische Lebenselemente ermittelte, die die Gestaltung des Rechts beeinflussen. Vor allem Interessenlage, Verantwortungsbewußtsein, Vertrauen und Machtlage bzw. Beherrschungsvermögen waren für ihn solche Faktoren. Dem damals vorherrschenden mehr begrifflichen oder formalen Rechtsdenken wollte er Halt und Tiefe geben durch kausales Erfassen der Rechtsgebilde aus den für sie maßgebenden Lebenszusammenhängen. Die Gesetzesbindung sollte dennoch gewahrt bleiben, bloße ›Gefühlsjurisprudenz‹ damit verhindert werden. Mit dem Gedanken der lebensnahen Rechtsforschung und Rechtsprechung griff M. den Ansatz Dernburgs auf, der Gesetze lediglich als Grundlage sah, auf der der Richter unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse aufbauen muß. Zur Lehre vom kausalen Rechtsdenken haben sich in Frankreich Escarra und Ripert sowie in Italien Betti und Mossa bekannt. M.s literarischer Ruf beruht vor allem auf seinem grundlegenden Werk zum ›Bergrecht Preußens und des weiteren Deutschlands‹ (1917) sowie auf dem Deutschen Handelsrecht‹ (1921, 1928, Neudr. 1969), in dem er anhand der Kausalmethode die rechtspolitischen Gründe für die im Handelsrecht bestehenden Gesetze darstellt und für bestimmte Sachverhalte eigene Entscheidungen entwickelt.«

Vortmann, Jürgen, in: Neue Deutsche Biographie 9 (1997), S. 494–495

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