Josef Redlich

»Jurist und Politiker, * 18.6.1869 Göding (Mähren), † 11.11.1936 Wien. (jüdisch, seit 1903 evangelisch)

R. übersiedelte 1878 nach Wien, wo er 1886 die Matura ablegte. Anschließend studierte er Jura in Wien, Leipzig und Tübingen. Nach seiner Promotion in Wien 1891 arbeitete er bis 1893 als Konzeptspraktikant der Statthalterei in Brünn. Resultat mehrerer Studienaufenthalte in England war sein erfolgreiches Werk über die Entwicklung der engl. Lokalverwaltung (1901, engl. 2 Bde. 1903, Neudr. 1958, 1970/71), mit dem er sich 1901 an der Univ. Wien für Staats- und Verwaltungsrecht habilitierte. In der Autonomie der Lokalverwaltung sah R. die Grundlage für die politische Reife des brit. Volks und eine der Voraussetzungen für den engl. Parlamentarismus, dem er sein zweites großes Werk widmete (Recht u. Technik d. engl. Parlamentarismus, 1905, engl. 3 Bde. 1908). Beide Arbeiten verschafften ihm internat. Anerkennung. Seiner Ernennung zum ao. Prof. an der Univ. Wien 1906 folgte 1909 der Ruf als o. Prof. an die TH Wien, wo er bis 1918 tätig war. Seit 1910 wiederholt zu Vorträgen an engl. und amerik. Univ. eingeladen, wurde R. 1926 als Spezialist für Common Law an die Harvard-Univ. (Cambridge/USA) berufen, wo er bis zu seiner Rückkehr nach Wien 1934 Vergleichendes Staats- und Verwaltungsrecht lehrte.

Die Zugehörigkeit R.s zum sozialpolitisch reformorientierten Wiener ›Fabier-Kreis‹ und seine Tätigkeit im ›Verein für Socialpolitik‹ gaben u.a. den Anstoß für seinen Einstieg in die praktische Politik. 1906 wurde er in den mähr. Landtag, 1907 in das Abgeordnetenhaus des Reichsrats gewählt (Dt.fortschrittl. Partei), wo er sich v.a. Verwaltungsfragen widmete. Am 27.10.1918 wurde R. als profilierter Parlamentarier und konsequenter Vertreter des Autonomie- und Föderativgedankens von Ks. Karl als Finanzminister in das Kabinett Lammasch berufen, in dem er bis zum Ende der Monarchie am 11.11.1918 tätig war. Von Juni bis Okt. 1931 war er erneut Finanzminister im Kabinett Buresch. Mit seiner politischen Arbeit wandte R. sein wissenschaftliches Interesse verstärkt der österr. Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte des 19. und frühen 20. (h. zu. Es erschienen zwei Bände seines unvollendet gebliebenen Werks ›Das österr. Staats- und Reichsproblem‹ (1920/26), sowie ›Österr. Regierung und Verwaltung im Weltkriege‹ (1925, engl. 1929) und seine vieldiskutierte kritische Biographie Ks. Franz Josephs (1928, 1929, engl. 1929). Seine Werke, die sich durch eine realistische Staatsbetrachtung auszeichnen, fanden zunächst wenig Resonanz, erst die heutige Forschung, der es aufgrund seiner Arbeiten möglich war, Kontinuitäten zwischen dem neuen Österreich und dem alten Reich aufzuzeigen, würdigt ihn gebührend. Der theoretisch-institutionalistische Gehalt, der in R.s beschreibender Methode steckt, etablierte ihn als einen der großen österr. Verfassungshistoriker und Staatstheoretiker. Seine Tagebücher sind aufgrund seiner scharfsinnigen Beobachtungsgabe eine wichtige Quelle für die Geschichte der letzten Jahre der Monarchie. Enge Freundschaften, dokumentiert in umfangreichen Korrespondenzen, verbanden ihn u.a. mit Hermann Bahr und Hugo v. Hofmannsthal.«

Berger, Elisabeth, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2003), S. 246–247

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