Gewalt gegen Kinder in historischer Perspektive
Beschreibung
Die weitgehende soziale Ablehnung und die rechtliche Ächtung von Gewalt gegen Kinder, wie sie etwa in der UN-Kinderrechtskonvention von 1989/90 zum Ausdruck kommt, stellen zugleich historisch junge, wie offenkundig immer noch fragile Errungenschaften moderner Gesellschaften dar. So deuten die Ergebnisse einer im Jahr 2003 veröffentlichten Studie von UNICEF darauf hin, dass allein in den OECD-Ländern jährlich etwa 3500 Kinder unter 15 Jahren aufgrund von Misshandlung oder Vernachlässigung zu Tode kommen.
Der Sammelband geht den geschichtlichen Wurzeln und Erscheinungsformen von Gewalt gegen Kinder in systematischem und epochenübergreifendem Ansatz für die Zeit seit der Antike nach. In 15 Beiträgen thematisieren deutsche, schweizerische und US-amerikanische Autorinnen und Autoren soziale Praxis, Rechtfertigungsstrategien und wissenschaftliche Deutungsmuster, aber auch Konzepte zur Eindämmung von kindgerichteter Gewalt. Dabei wird deutlich, dass sich deren Geschichte weder als quasi-naturhaft gegebenes intergenerationelles Verhaltensmuster noch als Erfolgshistorie modernen Kinderschutzes hinreichend erfassen lässt.
Inhaltsübersicht
Stefan Grüner / Markus Raasch
Einleitung
Stefan Grüner
Gewalt als Erziehungsmittel, Kindesrechte und Kinderschutz. Historische Grundlinien seit der Aufklärung
I. Gewalt in Schule und Familie
Stephanie Kirsch
»Schulen« in Rom und die Kritik an der kindbezogenen Gewalt in der Literatur des ersten nachchristlichen Jahrhunderts
Christiane Richard-Elsner
Gewalt gegen Kinder im Mittelalter. Züchtigung von Kindern in der Lateinschule
Markus Raasch
Erziehung und häusliche Gewalt. Ein Beitrag zur Gesellschaftsgeschichte des Katholizismus im 19. Jahrhundert
Sarina Hoff
Vom Ende der »Prügelpädagogen«. Der Weg zur Ächtung von körperlichen Schulstrafen in Hessen und Rheinland-Pfalz 1945–1974
II. Heime und Kliniken
Rudolf Oswald
»Der Stock ist doch wirklich nicht der Erziehung größte Weisheit«. Die Gewaltdebatte in der katholischen Anstaltspädagogik, 1900–1933
Silke Fehlemann / Frank Sparing
Wiederkehrende Gewalt. (Kriegs-)Kinder in den psychiatrischen Einrichtungen des Rheinlandes 1945–1954
Isabel Richter
Jugendwerkhöfe in Thüringen. Sozialistische Umerziehung zwischen Anspruch und Realität
III. Recht und medizinisch-psychologische Wissenschaften
Anne Purschwitz
Gewalt als Phänomen oder die Schutzwürdigkeit des Kindes. Das Beispiel Sachsen (1680–1860)
Sace E. Elder
Ein gerechtes Maß an Schmerz. Körperliche Züchtigung, die Subjektivität von Kindern und die Grenzen vertretbarer Gewalt im Kaiserreich und der Weimarer Republik
Stefan Grüner
Kinder und Trauma. Zur wissenschaftlichen Konzeptionalisierung von kindlicher Kriegs- und Gewalterfahrung seit dem 19. Jahrhundert
IV. Sexuelle Gewalt gegen Kinder
Rebecca Heinemann
Im Zweifel für das Kind? Sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Kaiserreich und in der Weimarer Republik
Dagmar Lieske
Von »Gemeingefährlichen«, »Sittlichkeitsverbrechern« und »Geschändeten«. Die Verfolgung von sexuellem Kindesmissbrauch im Nationalsozialismus
Sonja Matter
Das »unschuldige«, das »verdorbene« und das »traumatisierte« Kind. Die Prekarität des Opferstatus bei sexueller Misshandlung in österreichischen Strafprozessen (1950–1970)
Michael Mayer
Gewalt gegen Kinder und gesellschaftlicher Wandel. Die »Sex Crime Panic« in den USA in den 1950er Jahren
Autorinnen und Autoren
Personen- und Ortsregister
Pressestimmen
»Um es zusammenzufassen: Es gäbe viele weitere Anmerkungen zu dem facettenreichen, interessanten Band, dessen Lektüre nicht zuletzt auch weiteren Forschungsbedarf deutlich werden lässt.« Prof. Dr. Barbara Stambolis, in: Historische Zeitschrift, Bd. 310, Heft 2/2020
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