Herstellung und Darstellung von Entscheidungen

Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne

2010. Abb.; 591 S.
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ISBN 978-3-428-13366-6
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Beschreibung

Wie funktionierte Entscheidungshandeln in vormodernen Gesellschaften – vor Gericht, in politischen Ratsgremien, Versammlungen und Verwaltungsämtern? Formalisierte Entscheidungsverfahren im strengen Sinne sind alles andere als selbstverständlich; sie sind vielmehr erklärungsbedürftig. Wie entstanden strukturell autonome Verfahren, die eine Chance auf Anerkennung ihrer Ergebnisse durch die Beteiligten hatten, auch wenn sie weder deren Interessen noch deren Vorstellungen von Gerechtigkeit, Wahrheit oder Vernünftigkeit entsprachen? Inwiefern wiesen formale Verfahren in der Vormoderne eine strukturelle Unabhängigkeit gegenüber der ständischen Umwelt auf, in die sie eingebettet waren, und machten ihre eigene Logik und ihre eigenen Rollen geltend – oder eben nicht? Beziehungsweise: Warum gab es solche formalen Verfahren in der Regel gerade nicht, welche strukturellen Hindernisse standen ihnen entgegen? Inwiefern handelte es sich eher um informelle Aushandlungsprozesse oder um rituelle Inszenierungen? In welchem Verhältnis standen symbolisch-expressive zu instrumentellen Funktionen von Verfahren? Aber auch: Wann, wie und warum bildeten Entscheidungsverfahren wider Erwarten doch eine ihnen eigene Macht gegenüber den Beteiligten aus?

Mit diesen Fragen befasste sich die hier dokumentierte Tagung, die das Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Projekt »Vormoderne Verfahren« 2008 an der Universität Münster ausgerichtet hat.

Die Beiträgerinnen und Beiträger haben ihre Antworten in Auseinandersetzung mit modernen Verfahrenstheorien entwickelt, insbesondere mit der klassischen frühen Studie von Niklas Luhmann über »Legitimation durch Verfahren«. Es ging darum, an den Kategorien und Begriffen, die die Theorie anbietet, die Wahrnehmung der empirischen Sachverhalte zu schärfen und so diffuse historische Phänomene strukturell genauer beschreibbar zu machen. Der Wert der Theorie für Historiker der Vormoderne – so zeigen die hier versammelten empirischen Fallstudien über die Frühe Neuzeit mit Vor- und Rückblicken auf Mittelalter und Gegenwart – liegt darin, dass sie klare Unterscheidungen und Vergleiche ermöglicht und so ex negativo den Blick für vormoderne Gesellschaften schärft.

Inhaltsübersicht

Inhalt: B. Stollberg-Rilinger, Einleitung - I. Theorien des Verfahrens: A. Krischer, Das Problem des Entscheidens in systematischer und historischer Perspektive - F. Wittreck, Legitimation durch Verfahren in der Rechtswissenschaft - A. Brodocz, Erfahrung mit Verfahren. Zur Legitimation politischer Entscheidungen - A. Kieserling, Simmels Formen in Luhmanns Verfahren - II. Gerichtsverfahren: S. Ullmann, Schiedlichkeit und gute Nachbarschaft. Die Verfahrenspraxis der Kommissionen des Reichshofrats in den territorialen Hoheitskonflikten des 16. Jahrhunderts - M. von Loewenich, Herstellung und Darstellung von Entscheidungen im Verfahren des Reichskammergerichts - C. Wieland, Legitimität durch Autorität und Konsens; Legitimation durch Autonomie. Zum Gerichtsverfahren im frühneuzeitlichen Herzogtum Bayern (16. Jahrhundert) - A. Krischer, Das Verfahren als Rollenspiel? Englische Hochverratsprozesse im 17. und 18. Jahrhundert - T.-M. Seibert, Selbstreferenz und Legitimation im modernen und vormodernen Gerichtsverfahren. Ein Kommentar - R. G. Asch, Kommentar - III. Verwaltung und Verfahren: B. Emich, Mit Luhmann im Kirchenstaat. Die römische Wasserbauverwaltung in verfahrenstheoretischer Sicht - D. Schläppi, Organisiertes Chaos. Verfahren des Ressourcentransfers in korporativen Systemen am Beispiel eidgenössischer Politik des 17. und 18. Jahrhunderts - D. Flückiger, Entscheiden an Ort und Stelle. Verfahren im Straßenbau am Beispiel des Kantons Bern 1740-1850 - S. Brakensiek, Legitimation durch Verfahren? Visitationen, Supplikationen, Berichte und Enquêten im frühmodernen Fürstenstaat - A. Holenstein, Verwaltung und Verfahren. Ein Kommentar - IV. Verhandlung und Verfahren: S. Patzold, Verhandeln über die Ehe des Königs. Das Beispiel Lothars II. - M. Köhler, Verhandlungen, Verfahren und Verstrickung auf dem Kongress von Nimwegen 1676-1679 - M. Heckel, Sinn und Formen des Verfahrens im Reichskirchenrecht des Alten Reichs - A. Kalipke, Verfahren, Macht, Entscheidung. Die Behandlung konfessioneller Streitigkeiten durch das Corpus Evangelicorum im 18. Jahrhundert aus verfahrensgeschichtlicher Perspektive - A. Würgler, Zu den Funktionen von Verfahren und Verhandlungen. Kommentar - T. Scheffer / S. Albrecht / M. Michaeler / J. Schank / R. Wundrak, Prominente Politiker vor Untersuchungsausschüssen. Verzicht auf Verfahrensautonomie? - W. Reinhard, Schlusskommentar - Abstracts

Pressestimmen

»Der Tagungsband zeigt in sehr anregender Weise, wie hilfreich der theoriegeleitete Blick für das Verhältnis des eigenständigen Charakters der Frühen Neuzeit sein kann [...].«
Luise Schorn-Schütte, in: Die Verwaltung, 2/2014

»Insgesamt ist den Herausgeber/innen und den Autor/innen ein Kompliment auszusprechen, einen konzeptionell durchdachten und hochgradig anregenden Band hervorgebracht zu haben.«
Hanna Sonkajärvi, in: H-Soz-u-Kult, 03.04.2012

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